Schüler nerven Tim Detzner (DIE LINKE) Interview mit dem Wochenendspiegel
Schüler:innen haben gemeinsam mit dem Wochenendspiegel unseren Direktkandidaten Tim Detzner auf den Zahn gefühlt. Hier das Interview im vollen Wortlaut:
Welche Projekte möchten Sie in Ihrem Wahlkreis unbedingt umsetzen, was tun Sie konkret für unsere Zukunft oder halten Sie nur wohlklingende Reden?
Besonders am Herz liegt mir, dass Chemnitz als Großstadt endlich an das Fernverkehrsnetz der Bahn angeschlossen wird. Außerdem gibt es in unserer Stadt gerade viele spannende Entwicklungen im Bereich der nachhaltigen Technologien, wie z.B. das Wasserstoffzentrum, das neu entstehen soll, oder die Produktion von synthetischen Kraftstoffen. Als Abgeordneter möchte ich diese Projekte politisch unterstützen, weil sie großartige Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt bieten, weg von der „verlängerten Werkbank“ westdeutscher Unternehmen, hin zu starken ansässigen Unternehmungen mit guten Arbeitsplätzen, statt Niedriglohnjobs.
Weshalb ist die Politik für viele Schüler völlig uninteressant?
Ich habe den Eindruck, dass sich in Zeiten von Fridays for Future wieder mehr Jugendliche für Politik interessieren, als noch einige Jahre zuvor. Es mag stimmen, dass viele Jugendliche trotzdem immer noch politisch desinteressiert sind. Das könnte daran liegen, dass sie sich von den Berufspolitiker:innen, die ja vielfach immer noch alte, weiße Männer sind, einfach nicht vertreten fühlen. Außerdem haben Jugendliche auch kaum politische Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeiten. DIE LINKE tritt für ein Wahlalter ab 14 Jahren auf allen politischen Ebenen ein. Damit hätten Jugendliche mehr Mitspracherechte und ihre Stimmen hätten als Wähler:innen mehr Gewicht.
Unsere Rüstungsindustrie spielt in der Champions League, die Bildung in der Kreisklasse. Warum haben Sie das zugelassen?
DIE LINKE hat die Rüstungsindustrie und deutsche Waffenexporte in alle Welt schon immer vehement kritisiert. Wir stehen für ein Verbot aller Waffenexporte und Konversionsstrategien für Rüstungsunternehmen, damit diese statt Waffen zivile Produkte herstellen. Außerdem lehnen wir die NATO-Vorgabe, 2% des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben, ab. Dieses Geld wäre aus unserer Sicht für Bildung tausend Mal sinnvoller ausgegeben, weshalb wir z.B. stattdessen fordern, mit einem 50 Milliarden-Programm besonders sanierungsbedürftige Schule renovieren zu lassen oder jedem Schüler und jeder Schülerin einen Laptop zur Verfügung zu stellen, wenn die Eltern diesen nicht selbst finanzieren können.
Bekommen Politiker zu wenig Geld? In der Wirtschaft kann das ein Vielfaches verdient werden, was auch den Schluss zulässt, das die wirklich schlauen Köpfe des Landes dort zu finden sind…
Ich denke das nicht und finde die Selbstbedienungsmentalität, die bei Diätenerhöhungen an den Tag gelegt wird, daneben. Die Linksfraktion im Bundestag spendet einen Großteil dieser Erhöhungen für wohltätige Zwecke. Es war einmal eine Forderung der Arbeiterbewegung, dass Abgeordnete nicht mehr verdienen sollten als den Lohn, den Arbeiter:innen durchschnittlich erhalten. Eine Orientierung an der Einkommensentwicklung der „einfachen Leute“ würde ich auch heute noch befürworten. Politik sollte aus Leidenschaft, Idealismus und dem Wille, etwas zum Besseren zu bewegen, betrieben werden, nicht des Geldes wegen. Deshalb bezweifle ich, dass mehr Geld zu geeigneteren Politiker:innen führen würde.
Als Abgeordneter sind Sie nur Ihrem Gewissen verpflichtet. Folgen Sie Ihrer Partei auch dann, wenn Sie anderer Meinung sind?
Parteien und Fraktionen funktionieren nach demokratischen Regeln. Als Demokrat finde ich es deshalb wichtig, sich an demokratisch gefasste Beschlüsse zu halten, auch wenn sie manchmal den eigenen Überzeugungen zuwider laufen mögen. Es gibt ja immer die Chance, innerparteilich für seine Sichtweise zu werben und Mehrheiten zu gewinnen. Jede:r entscheidet sich zudem für die Partei, die seinen Überzeugungen am nächsten kommt. Ich glaube daher nicht, das DIE LINKE mehrheitlich Meinungen vertreten wird, die völlig gegenläufig zu meinen sind. Im besonderen Einzelfall behalte ich es mir aber vor, meinem Gewissen den Vorrang vor Fraktionszwang zu geben.
Sie wollen den Reichtum so verteilen, dass er allen zugutekommt, die Steuern auf hohe Einkommen und Erbschaften erhöhen. Damit jagen Sie den Mittelstand, der die Jobs und Werte schafft, ins Ausland, wohin die ganz großen Unternehmen ohnehin schon abgewandert sind oder bei den Steuern legal tricksen. Werden die Einnahmen am Ende nicht sogar sinken?
Die Mär vom „scheuen Reh“ Kapital ist ein Schreckgespenst der Konzernlobby, das immer bemüht wird, wenn soziale Reformen eingefordert werden. Der eigentliche „Mittelstand“, also Handwerker:innen, Gewerbetreibende, Gastronom:innen etc., würde von einer Umverteilung von Oben nach Unten sogar profitieren, weil die unteren Einkommensschichten es sich dann wieder leisten könnten, Essen zu gehen oder ein:e Handwerker:in zu beauftragen. Und auch die, die stärker in die Verantwortung genommen würden, können mit ihren Unternehmen nicht so einfach in Steueroasen fliehen, weil es dort die logistische Infrastruktur oder die gut ausgebildeten Facharbeiter:innen wie in Deutschland einfach nicht gibt.
Auch beim Thema Klima versprechen Sie, sich mit den Kapitalisten anzulegen. Sie schreiben zwei Drittel der weltweiten CO2-Belastung würden von 100 Großkonzernen verursacht. Welche davon sind aus Deutschland?
RWE steht als deutscher Konzern auf Platz 41 der sog. Carbon Majors, also der am meisten CO2 emittierenden Großkonzerne. Klar scheint ein deutscher Konzern auf dieser Liste nicht viel zu sein, aber es macht auch keinen großen Sinn, transnational agierende Großkonzerne nationalstaatlich zuzuordnen. Die Grundaussage bleibt dieselbe: Klimaschutz, der die Kosten nur auf die Verbraucher:innen abwälzt, ist weder sozial, noch effektiv. Wie soll Ottine Normalbürgerin vermittelt werden, dass der Tank ihres PKW, auf den sie angewiesen ist, ihr Gehalt zunehmend auffrisst, große Konzerne mit enormen Energieverbrauch aber weiterhin von Umlagen befreit sind und großzügige Rabatte erhalten?
Sie versprechen: „Wir schaffen einen Rettungsschirm für die Beschäftigten: Mit Job- und Einkommensgarantien. Mit 4‑Tage-Woche, Lohnausgleich und Weiterbildungsgarantie.“ Jetzt mal ehrlich: Mehr Populismus geht aber wirklich nicht, oder?
Wenn Populismus bedeutet, sich für die Interessen der großen Mehrzahl der lohnabhängig Beschäftigten einzusetzen, bin ich gerne Populist. Das gesamtgesellschaftliche Arbeitsvolumen ist seit 1990 weitestgehend konstant, die Produktivität hingegen kontinuierlich gestiegen. Warum sollten nur die Unternehmen davon profitieren? Arbeitszeitverkürzungen sind ein Mittel, Arbeit gerecht zu verteilen, damit Jede:r Anspruch auf eine volle Stelle hat und prekäre Beschäftigung zurückgedrängt wird. Eine Weiterbildungsgarantie kann in Zeiten des häufig beklagten „Fachkräftemangels“, der absehbar durch höhere Geburtenraten oder Zuwanderung nicht aufgefangen werden wird, auch nichts Schlechtes sein.
Auch Hartz-IV kritisieren Sie, fordern eine Mindestsicherung von 1200 Euro, die nicht gekürzt werden kann. Glauben Sie nicht, dass sich dann sehr viele Deutsche einen bequemen Tag machen werden, unattraktive Jobs unbesetzt bleiben?
Nein, weil mit unseren anvisierten Erhöhung des Mindestlohns und steuerlichen Entlastungen für kleine Einkommen trotzdem diejenigen, die arbeiten, besser gestellt sind. Wenn Jobs so unattraktiv sind, dass die Menschen ihnen nicht nachkommen wollen, dann müssen sich Unternehmen, Politik und Gesellschaft dafür einsetzen, dass sie attraktiver werden. Es ist sowieso ein Paradox unseres Wirtschaftssystems, dass die härtesten Jobs meist die sind, die am schlechtesten bezahlt werden. Die Bezahlung hängt eben nicht vom gesellschaftlichen Nutzen, sondern vom Profit ab, der generiert wird. Wäre es anders, müsste die Altenpflegerin deutlich besser dastehen, als der Investmentbanker.
Auffällig in ihrem Wahlprogramm sind die *. Selbst bei Jede*r setzen sie es oder hinter Frauen* (Abschnitt Solidarität ist unteilbar). Glauben Sie, dass die Arbeiterklasse damit etwas anfangen kann?
Ich glaube nicht, dass die Arbeiterklasse ein homogener Block aus heterosexuellen, weißen, gesellschaftlich konservativ eingestellten Männern ist. Menschen, die nicht in die etablierte binäre Zuordnung „männlich“/“weiblich“ passen, gibt es in allen gesellschaftlichen Schichten. In absoluten Zahlen gehören vermutlich die meisten von ihnen sogar der Arbeiterklasse an. Das Gendern ist einfach ein sprachliches Mittel, diese Menschen sichtbarer zu machen. Wer das nicht möchte, der muss es ja nicht tun. Niemand wird gezwungen. Im Gegensatz dazu wollen die Konservativen aus Union und AfD es ja gesetzlich verbieten. Sie spielen also die Sprachpolizei, die sie anderen vorwerfen.
Quelle: Wochenendspiegel